Bis zur Zeit des zweiten Weltkrieges wurde allgemein angenommen, daß Ulpiana angesichts der Ähnlichkeit der Namen mit dem heutigen modernen Städtchen Lipljan zu identifizieren sei. Falsch?
Von Enver HOXHAJ
In dieser Arbeit wollen wir Entstehung, Entwicklung und Untergang der frühchristlichen Gemeinde in der spätantiken Stadt Ulpiana von der zweiten Hälfte des 2. bis zum Ende des 6. Jh.s untersuchen, um einen bisher in der Forschung nicht beachteten Abschnitt frühchristlicher Geschichte nachzuzeichnen.1 Ulpiana ist wohl aus einer älteren dardanischen Siedlung, vielleicht aber auch erst aus einem römischen Militärlager hervorgegangen.2 Jedenfalls wurde die Siedlung irgendwann im 2. Jh. als municipium Ulpianum, res publica Ulpiana mit dem römischen Stadtrecht ausgestattet.
Die Frage, ob sie schon zur Herrschaftszeit Traians (98-117) oder erst unter Hadrian (117-138) zum Munizipium erhoben wurde, muß jedoch bisher als offen betrachtet werden.4 Ebenso wie die Gründungszeit war in der früheren Literatur auch die Lage der Stadt sehr umstritten. Bis zur Zeit des zweiten Weltkrieges wurde allgemein angenommen, daß Ulpiana angesichts der Ähnlichkeit der Namen mit dem heutigen modernen Städtchen Lipljan zu identifizieren sei, wo tatsächlich einige lateinische Inschriften zutage gekommen sind, Spuren einer spätantiken und frühbyzantinischen Siedlung entdeckt wurden, und dessen Name Lypenion, Lypiana erstmals im 4. Jh. in der Überlieferung vorkommt.5 Das Problem der Identifizierung von Ulpiana wird jedoch nach heutigem Forschungsstand als gelöst betrachtet, nachdem in den Jahren 1954/1959 systematische Ausgrabungen in einem Ort 1,5 km westlich vom heutigen Dorf Graçanica, 7 km südlich von der Hauptstadt der Provinz Kosova, Prishtina, durchgeführt wurden.6 Im Rahmen dieser Ausgrabungen, die im geringeren Ausmaß bis heute fortgeführt werden, wurde die römische und frühbyzantinische Stadt Ulpiana nun tatsächlich freigelegt, die innerhalb ihrer Mauren ein Stadtgebiet von 35,5 Hektar umfaßte. Die Entstehung der römischen Gründung darf wohl mit dem Bau des Straßennetzes im 1. Jh. in Verbindung gebracht werden, wobei sie, tief im Amselfeld gelegen, die Rolle eines Knotenpunktes zwischen der römischen Route Lezhë-Niš (Lissus-Naissus) und der vom Scupi durch das Amselfeld nach Novi Pazar führenden Straße spielte. Der Aufschwung der Stadt und die Einrichtung des Munizipiums kann durch die intensive Bergbautätigkeit (metalla Ulpiana) in den noch heute reichen Bergwerken der Umgebung von Prishtina erklärt werden.7 Wie im Laufe des 2. und 3. Jh.s, also zur Zeit des Prinizipates, stellte Ulpiana auch in den darauffolgenden Jahrhunderten während des Dominats nach Scupi (Skopje) die zweite bedeutende Stadt des dardanischen Gebiets dar. Dardanien, das ungefähr die heutigen Landschaften der Provinz Kosova, Südserbiens und Westmakedoniens umfaßte, gehörte vom 1. bis 3. Jh. zur römischen Provinz Moesia Superior.