Illyrer, Nationsbildung und nationale Identität
Meinem Lehrer Ekkehard Weber an der UniversitätWien zum 65. Geburtstag. In diesem Artikel wurde nicht in Frage gestellt, ob die Mythen der illyrischen Vergangenheit dekonstruiert werden sollten, und ob die albanische Geschichte damit entmythologisiert werden sollte. Am Bedarf daran besteht gar kein Zweifel.
Von Enver HOXHAJ
1. Einführung
„Nationalismus ist vor allem ein politisches Prinzip, das besagt, politische und nationale Einheiten sollten deckungsgleich sein. Nationalismus als Empfindung –oder Bewegung –läßt sich am besten mit Hilfe dieses Prinzips definieren. Das Nationalgefühl ist die Empfindung von Zorn über die Verletzung des Prinzips, oder von Befriedigung angesichts seiner Erfüllung. Eine nationalistische Bewegung wird durch eine derartige Empfindung angetrieben. Das nationalistische Prinzip kann auf vielerlei Art verletzt werden. Die politischen Grenzen eines Staates schließen vielleicht nicht alle Mitglieder der jeweiligen Nation ein; oder sie schließen alle ein, aber außerdem einige Ausländer; oder sie werden beiden Kriterien nicht gerecht, weil sie nicht alle Angehörige der Nation, aber dennoch einige Angehörige anderer Nationen umschließen. Oder eine Nation mag, ohne Einsprengsel von Ausländern, in einer Vielzahl von Staaten leben, so daß kein einzelner Staat behaupten kann, er sei der Nationalstaat. Es gibt jedoch eine ganz bestimmte Form der Verletzung des nationalistischen Prinzips, auf die das Nationalgefühl besonders empfindlich reagiert: Gehören die Herrschenden der politischen Einheit einer anderen Nation an als die Mehrheit der Beherrschten, so ist dies für Nationalisten ein besonders unerträglicher Bruch des politischen Anstands. Dies kann passieren, wenn sich ein größeres Reich das nationale Territorium einverleibt, oder auch dadurch, daß die lokale Herrschaft von einer fremden Gruppe ausgeübt wird.
Man könnte meinen, der zitierte Ernest Gellner habe hier unmittelbar die Entstehung der albanischen Nationalbewegung und die aktuelle Bedeutung des albanischen Nationalismus vor Augen gehabt. Denn gerade die komplexen albanischen Verhältnisse in Südosteuropa werden hier exakt beschrieben. Ein Verlangen nach politischer und nationaler Einheit, ein Empfinden von Zorn, der Druck von außen, kulturelle Einheitlichkeit, die Einverleibung durch größere Staatsgebilde und Fremdherrschaft waren und sind immer noch Schlüsselkennzeichen der Nationsbildung bei den Albanern und des Auftretens von ihrem Nationalismus. Gellner aber beschäftigt sich in seinem brillanten Buch Nations and Nationalism weder mit den Albanern noch mit anderen südosteuropäischen Nationen. Aufgrund der west- und teilweise zentraleuropäischen Erfahrungen skizziert er seine Theorie, daß Nationalismus zur Schaffung kultureller Homogenität notwendig die Nationen geschafft habe, nicht hingegen die Nationen den jeweiligen Nationalismus. Für ihn ist Nationalismus nicht als Doktrin und Ideologie, sondern als soziales Phänomen von herausragender Bedeutung, das die modernen Industriellengesellschaften seit dem 19. Jahrhundert hervorgebracht hätten…