Vortrag von PETER FAESI an der Uni St. Gallen (im Rahmen der öffentlichen Vorlesungen) über Kadare und seinen Roman «Der zerrissene April», St. Gallen, November 2005.
Das Thema Blutrache
Ismail Kadare, geboren 1936 in der südalbanischen Stadt Girokaster, darf ohne Übertreibung als der bedeutendste Schriftsteller Albaniens und mit seinem umfangreichen Werk bereits als eigentlicher Klassiker bezeichnet werden. In der heutigen Vorlesung stelle ich Ihnen seinen Roman „Der zerrissene April “vor und frage dann, was eigentlich einen Epiker zu einem Epiker macht.
Im „Zerrissenen April“geht es um die Blutrache: Der Roman spielt in den dreissiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Er beginnt damit, dass Gjorg von der Sippe der Berisha auf einen jungen Mann aus der Sippe Kryeqyqe wartet, um an ihm das Gesetz der Blutrache zu erfüllen. Und bereits auf der dritten Seite tut Gjorg, „was zu tun war“: er erschiesst Zef Kryeqyqe.
Zweihundert Seiten später endet der Roman damit, dass ein anderer junger Mann aus der Sippe Kryeqyqe auf Gjorg wartet, um an ihm das Gesetz der Blutrache zu erfüllen: Er tötet Gjorg, „genau nach den Regeln.“ Von der Kälte Albaniens Das sind die Eckpunkte eines Romans, der zu den härtesten, kältesten, distanziertesten Romanen des Autors gehört. Die Figuren wandern und fahren durch das Hochland Albaniens, wo es immer kalt ist und dauernd regnet: „Immer neue namenlose oder ihm doch unbekannte Felswüsten, nackt und voller Trübsal, traten aus dem feinen Nieselregen hervor“(Seite 25), oder wenig später: „Der Regen fiel immer dünner und wollte fast ganz aufhören, doch nur, um gleich darauf wieder in Strömen herabzustürzen“ (Seite 57).